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Kindergeld für Polen - Ein Beitrag von Dipl.-Jur. Paul Witkowski, Hannover
Wenn polnische Staatsangehörige Kindergeld in Deutschland beantragen und zumindest ein Elternteil mit dem Kind in Polen lebt, dann berührt das
Begehren des deutschen Kindergeldes nicht nur die deutschen Rechtsvorschriften der §§ 62 ff. EStG, sondern auch polnisches Kindergeldrecht und EU - Recht.
Dabei müssen die Bestimmungen der ab 01.Mai 2010 geltenden Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur
Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und die Bestimmungen der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009 beachtet werden.
1. Unsicherheiten bei der Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 in Bezug auf zwischenstaatliches Kindergeldrecht für Deutschland und Polen
Die Anwendung der am 1.Mai 2010 in Kraft getretenen Verordnung (EG) Nr. 883/2004 und der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009 löst bei
den zuständigen Familienkassen Unsicherheit aus. Gemeint sind hier die Fälle der Festsetzung und Aufhebung vom deutschen Kindergeld für ein im EU- Mitgliedsstaat
(z.B. Polen) lebendes Kind. Sachverhalte, die unter rechtlichen Gesichtspunkten identisch zu bewerten sind, werden von den Familienkassen nicht selten
rechtlich unterschiedlich bewertet. Dies ist auch dem Umstand geschuldet, dass noch keine Rechtsprechung zu den neuen europarechtlichen Bestimmungen betreffend
Familienleistungen ergangen ist.
Die Familienkassen begründen die Bescheide betreffend Kindergeld oft nur unzureichend. Wenn die Festsetzung von Kindergeld aufgehoben oder abgelehnt wird,
ist meistens nicht ersichtlich, auf welche Rechtsgrundlage sich die Familienkasse explizit stützt. Der Gesetzestext wird nicht abgedruckt. Dies macht es für
die Betroffenen schwer, ihren Einspruch gegen den Kindergeldbescheid zu begründen.
2. Familienleistungen in der neuen Verordnung (EG) Nr.883/2004
Grundsätzlich stellt Artikel 67 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 klar, dass eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat
(hier: Polen) wohnen, einen Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen EU- Beschäftigungsstaates (hier: Deutschland) hat.
In Artikel 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 werden jedoch Prioritätsregeln für einen vorrangigen Anspruch auf Familienleistungen aufgestellt.
Ziel dieser Prioritätsregeln ist die Vermeidung ungerechtfertigter Doppelleistungen beim Zusammentreffen von Ansprüchen auf Familienleistungen nach
den Rechtsvorschriften mehrerer EU - Mitgliedsstaaten (hier: Deutschland und Polen).
Die Anwendung dieser Vorschriften im Zusammenhang mit dem Begehren von Kindergeld in Deutschland bereitet oft Schwierigkeiten. Aus diesem Grund folgt hier
eine Darstellung der in der Praxis relevanten Fallkonstellationen.
3. Relevante Fallkonstellationen
3.1. Differenzkindergeld
Im Regelfall setzen die Familienkassen Differenzkindergeld fest (Kindergeld in Höhe des nach deutschem Recht zu zahlenden Betrages abzüglich des in Polen
für die Familie zustehenden Familienzuschlags). Die Rechtsgrundlage hierfür bildet Artikel 68 Absatz 2 Verordnung (EG)
Nr. 883/2004 in Verbindung mit Artikel 60 Absatz 2 Satz 3 Durchführungsverordnung (EG)
Nr. 987/2009. Zu beachten ist, dass sowohl deutsches Kindergeld als auch polnische Familienleistungen durch den Wohnort der Eltern bzw. des Elternteils
ausgelöst werden. In diesem Fall sehen die Prioritätsregeln des Art.68 Abs.1 der Verordnung (EG) Nr.883/2004 vor, dass der Anspruch am Wohnort der Kinder vorrangig ist.
Regelmäßig wird das der Anspruch der Kindermutter in Polen sein, bei der die Kinder in einem Haushalt leben.
Die Höhe der Familienleistungen in Polen ist pro Kind um ein Vielfaches niedriger als das deutsche Kindergeld. Art. 68 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr.
883/2004 schreibt für diesen Fall grundsätzlich vor, dass der nachrangige, höhere Kindergeldanspruch in Höhe des Differenzbetrages zum vorrangigen, aber
niedrigeren Kindergeldanspruch zu zahlen ist.
Die Familienkasse wird entsprechend feststellen, dass der Bruttobetrag der polnischen Familienleistungen niedriger ist als das dem Berechtigten zustehende
deutsche Kindergeld.
Die mit den gesetzlichen Vorgaben vereinbare Praxis der Familienkassen sieht für diesen Fall vor, dass das Kindergeld - vorläufig - in Höhe des halben
Kindergeldbetrages festgesetzt wird.
Eine - endgültige - Entscheidung über die Höhe des deutschen Kindergeldes erfolgt, wenn der Familienkasse eine Bescheinigung über die Höhe der in Polen
zustehenden Familienleistungen vorliegt. Entscheidend kommt es hier auf den Vordruck E 411 an.
3.1.1. Möglicher Ausschluss des Anspruchs auf deutsches Differenzkindergeld
Art.68 Abs.2 Satz 2 Verordnung (EG) Nr.883/2004 kann zum Ausschluss des deutschen Differenzkindergeldes führen. Der Gesetzestext lautet an dieser
Stelle wie folgt:
"Ein derartiger Unterschiedsbetrag muss jedoch nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende
Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird."
Diese Regelung birgt Nachteile für polnische Erwerbstätige, die in Deutschland arbeiten, deren Kinder jedoch mit dem anderen Elternteil
in Polen leben. Denn nach Art.1 Abs.3 der polnischen Regelungen über Familienleistungen (Gesetz vom 28. November 2003, Gesetzblatt Nr. 228/2003 Pos. 2255)
werden Familienleistungen an Eltern gezahlt, wenn sie in Polen ihren Wohnsitz haben. Polnische Familienleistungen werden also ausschließlich durch
den Wohnort ausgelöst.
3.1.2. Stellungnahme
Mit dieser juristisch sehr unpräzisen "Muss - Nicht - Regelung" (übersetzt: "muss nicht, aber kann") verleiht der Europäische Gesetzgeber
den zuständigen Familienkassen ein Ermessen, das Differenzkindergeld für polnische Erwerbstätige in Deutschland vollständig aufzuheben, falls die
Ansprüche auf polnische und deutsche Familienleistungen aufeinandertreffen. Entscheidend soll in diesem Fall stets der Wohnstaat des Kindes sein.
Es ist zu prognostizieren, dass einige Familienkassen sich auf diese Regelung berufen werden, um die Aufhebung des deutschen Kindergeldes zu begründen.
Zur Auslegung dieser Ermessensnorm gibt es bislang jedoch keine Rechtsprechung und keine Kommentierung im juristischen Schrifttum, sodass die Begründung
eines etwaigen Einspruchs gegen den Aufhebungsbescheid der Familienkasse Schwierigkeiten begegnet. Es bleibt zukünftig der Rechtsprechung überlassen,
unter welchen Kriterien die Familienkasse von dieser "Muss-Nicht- Regelung" Gebrauch machen darf.
3.2. Hälftiges Kindergeld
3.2.1. Alte Rechtslage bis 30.April 2010
Vor dem 01.Mai 2010 hatte die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 Gültigkeit und reichte speziell polnischen Handwerkern zum Nachteil, da polnische Handwerker
in der Regel nicht zum Personenkreis gehörten, die dieser Verordnung unterliegen.
In diesem Fall mussten die polnischen Handwerker auf das Differenzkindergeld verzichten. Falls sie dann noch für ihre Kinder in Polen einen Anspruch
auf polnische Familienleistungen hatten, war der Anspruch auf deutsches Kindergeld nach § 65 Abs.1 Nr.2 EStG ausgeschlossen.
Dennoch haben viele Familienkassen in diesen Fällen ein hälftiges Kindergeld festgesetzt. Bei dieser Entscheidung haben sich die Familienkassen
auf die analoge Anwendung des Art. 12 Abs.2 Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 gestützt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass ein vollständiger Ausschluss
des deutschen Kindergeldes gem. § 65 Abs.1 Nr.2 EStG nicht mit dem Sinn und Zweck der EU- Konkurrenzregelungen vereinbar sei.
Problematisch daran war, dass das hälftige Kindergeld auf keine direkte Rechtsgrundlage gestützt werden konnte. Auch die Rechtsprechung der Finanzgerichte
hat die Zulässigkeit der hälftigen Kindergeldfestsetzung stets offen gelassen (Finanzgericht München, Urteil vom 3.März 2009, EFG 2009, 944).
Infolgedessen haben andere Familienkassen streng nach dem Gesetzeswortlaut entschieden und in diesem Fall die Festsetzung von Kindergeld
vollständig abgelehnt.
Diese Fallkonstellation traf auf diejenigen polnischen Handwerker zu, die lediglich im Verzeichnis der zulassungsfreien
Handwerke im Sinne der Anlage A zur HwO, z.B.
o Fliesen-, Platten-, Mosaikleger
o Estrichleger
o Parkettleger
o Gebäudereiniger
o Trockenbauer
ein Gewerbe betrieben. Schließlich sind sie nicht in die Handwerksrolle eingetragen und somit nicht als selbständig tätige Gewerbetreibende
nach Maßgabe des § 2 Absatz 1 Satz 1 Nr.8 SGB VI anzusehen.
3.2.2. Neue Rechtslage seit 01.Mai 2010
Zum 01.Mai 2010 wurde die Verordnung (EWG) 1408/71 durch die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 abgelöst. Die in der alten Verordnung (EWG) 1408/71
vorgesehene Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs nur auf Arbeitnehmer und Selbständige wurde mit der neuen Verordnung (EG) Nr. 883/2004
aufgehoben. Die letztgenannte neue Verordnung gilt nun u.a. für alle Staatsangehörige eines Mitgliedsstaates und ihre Familienangehörigen.
Da die Ansprüche auf das polnische und das deutsche Kindergeld jeweils durch den Wohnort ausgelöst werden und nicht durch eine Beschäftigung
oder eine selbständige Erwerbstätigkeit, besteht nunmehr keine Notwendigkeit, das Tatbestandsmerkmal der selbständigen Erwerbstätigkeit im Sinne
von Artikel 1 b) der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 auf einen möglichen Anspruch des Berechtigten auf deutsches Kindergeld zu überprüfen.
Rechtsfolge ist in diesem Fall die neue Festsetzung des deutschen Kindergeldes in Höhe des Differenzbetrages nach Maßgabe des Artikel 68 Absatz 2 Satz 1
Verordnung (EG) Nr. 883/2004 in Verbindung mit Artikel 60 Absatz 2 Satz 3 Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009.
Schwierigkeiten können sich jedoch bei der Anwendung des Art.68 Abs.2 Satz 2 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 ergeben, siehe unter Punkt 3.1.1. und 3.1.2.
3.3. Volles Kindergeld
Volles deutsches Kindergeld ist dann festzusetzen, wenn die Ansprüche auf polnisches und deutsches Kindergeld nicht zusammentreffen.
Ein Anspruch auf polnisches Familiengeld besteht nur dann, wenn das Einkommen pro Familienmitglied monatlich nicht höher ist als 504 PLN.
Wird diese Einkommensgrenze überschritten, besteht folglich ein Anspruch auf das volle deutsche Kindergeld nur und ausschließlich nach deutschem Recht.
4. Prognose : Kindergeld nach dem Prinzip "alles oder nichts"
Es ist davon auszugehen, dass Familienkassen, die für in Deutschland lebende Polen hälftiges Kindergeld oder Differenzkindergeld festgesetzt
haben, an der Festsetzung auch nach der neuen Verordnung EG 883/2004 festhalten werden. Es ist aber nicht auszuschließen, dass einige Familienkassen
auf Grund der o.g. unglücklich formulierten "Muss - Nicht - Regelung" deutsches Kindergeld in den entsprechenden Fällen ganz ablehnen.
Der sicherste Weg zum vollen deutschen Kindergeld ist deshalb der Ausschluss des Anspruchs auf polnische Familienleistungen auf Grund
überstiegener Einkommensgrenze. Dieses dürfte bei einer Erwerbstätigkeit in Deutschland wohl in den meisten Fällen zutreffen. Deshalb kommt
entscheidend darauf an, den von der Familienkasse mitgeschickten Vordruck E 411 sorgfältig auszufüllen und anschließend zur weiteren Bearbeitung
an die polnische Verbindungsstelle zu schicken, die am Wohnort des Kindes in Polen zuständig ist.
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Impressum
Dipl.-Jur. Paul Witkowski
Himptenhof 9
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Tel.: 0511/10575943
Mobil: 0176/21973142
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